Früh übt sich … wer politisch handeln will

Die erwachsenen Luxemburger haben per Referendum mit ganz groẞer Mehrheit entschieden, dass ihre Kinder und Enkel nicht schon ab 16 sondern erst ab dem Alter von 18 Jahren die Wahlpflicht erlangen. Damit drücken sie aus, dass die Wahl unserer politischen Vertreter und der zukünftigen politischen Ausrichtung unseres Landes so wichtige Aufgaben sind, dass sie mit der Volljährigkeit und also untrennbar mit der integralen zivilen Handlungsfähigkeit verknüpft bleiben müssen.

Mit etwas Abstand kann man jetzt schon festhalten, dass die Disputanten in der Referendumkampagne zum Jugendwahlrecht sich in einer wesentlichen Analyse einig waren: man wird nicht mit der Vollendung seines 18. Lebensjahrs plötzlich angesprochen von oder gar kompetent in politischen Dingen. Daraus erwächst ein anderer Konsens: es besteht ein hoher Bedarf an politischer Bildung.

Dieser Bedarf wird deutlich, wenn man sich Zahlen aus dem Ausland ansieht. So gingen jüngst in Bremen (ohne Wahlpflicht) weniger als 50% der Wähler zur Urne, besonders die Jungen blieben fern.  Laut einer rezenten Umfrage haben 90% der Franzosen kein Vertrauen in ihre Parteien, 70% empfinden diese als „nicht nützlich“. Selbstverständlich sind diese Zahlen nicht Eins zu Eins auf Luxemburg übertragbar, aber sie beschreiben eine Tendenz, wie sie überall in Europa besteht.

„Das Bedienen eines so komplexen Systems wie der Demokratie schreit nach Gebrauchsanleitung: politische Bildung von Kindsbeinen an gewährleistet eine sachgerechte Handhabe.“

Politische Bildung, das darf keinesfalls ein schnarchlangweiliger „Instruction-Civique“-Kurs sein, in dem man das Funktionieren unserer Demokratie zwar auswendig lernt, aber gleich wieder vergisst, weil man das Gelernte nicht anwenden kann. Die politische Bildung erschöpft sich auch nicht in der punktuellen Präsenz von politischen Parteien zu Wahlkampfzwecken in Lyzeen. Politische Bildung ist weiter als parteipolitisch zu definieren und hat früher als im Jugendalter anzusetzen.

Politische Bildung muss  in Maison-Relais und Grundschule beginnen und sich im Secondaire fortsetzen. Die Kinder und Jugendlichen müssen selbst erfahren, dass sie fähig sind, auf ihre Umwelt einzuwirken, um sie in ihrem Sinne zu verändern. Dazu lernen sie handelnd, ihre Ideen zu formulieren, Mitstreiter zu gewinnen, sich respektvoll mit der Gegenseite auseinanderzusetzen und Kompromisse auszuhandeln. Viele Maison-Relais sind gerade dabei neue Konzepte umzusetzen, die genau dies fördern, weil sie von der Idee des „kompetenten Kindes“ ausgehen und methodisch auf die Partizipation der Kinder an Entscheidungen setzen.

Der politisch-historische Überbau

Auf der Sekundarstufe muss der politisch-historische Überbau hinzukommen. Hier kann das in der Umsetzung befindliche „Institut für Zeitgeschichte“ mitarbeiten. Es muss klar gemacht werden, zu welchen Auswüchsen ein Demokratiedefizit führt, aber auch dass Menschen sich gemeinsam Rechte erkämpfen können. Gleichzeitig müssen aber den Jugendlichen erweiterte Handlungs- und Exerzierspielräume in Sachen angewandter Demokratie zugestanden werden, von den Lehrern, vor allem aber von der Schul-Hierarchie.

Bei politischer Bildung handelt es sich nur zum Teil um das Verständnis der Parteienlandschaft, denn zur „res publica“ gehört viel mehr: es geht um das Engagement in Vereinen und Verbänden der Zivilgesellschaft, es geht um die Funktionen von Gewerkschaften, Selbsthilfegruppen und Interessenvertretungen. Das Bedienen eines so komplexen Systems wie der Demokratie schreit nach Gebrauchsanleitung: politische Bildung von Kindsbeinen an gewährleistet eine sachgerechte Handhabe.

(erstmals veröffentlicht in Lëtzebuerger Land 19.06.2015)

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Eine Antwort zu Früh übt sich … wer politisch handeln will

  1. Paul Zens schreibt:

    Hat dies auf paulzens rebloggt.

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